Ostersonntag (08.04.07)
Der Tag fängt schon gut
an. Eigentlich wollte ich früh aufstehen und alles langsam angehen lassen.
Jetzt zeigt die Uhr aber schon 08:30 Uhr. Aus dem Hintergrund höre ich
Gudrun rufen:“ Du musst dich beeilen, sonst sind wir zu spät in Utrecht
und können nichts mehr unternehmen. 1 Stunde später sitze ich im Auto und
fahre auf der A3 Richtung Arnheim. Auf der Beifahrerseite sitzt Gudrun,
die immer wieder versucht mich in ein Kreuzverhör zu verwickeln: “Hast du
alles eingepackt?“ – „hast du genügend Getränke mit?“ - hast du dein
Magnesium genommen?“
Um 11:30 erreichen wir bei
strahlendem Sonnenschein Utrecht. Dank meines Navi`s parken wir nur wenige
Meter vor dem Eingang der Marathonmesse „Jaarbeurs“, direkt im Zentrum von
Utrecht. Ein grosses Hinweisschild zeigt uns den Weg zum Eingang der
Messehallle, ein gigantisches Bauwerk von ca. 100x100 Meter. Drinnen
gähnende Leere. Genau 5 Stände mit Powergel, Eisspray, T-Shirts,
Trinkflaschen und Laufschuhe sind aufgebaut. Ein Clown soll die Kinder mit
Kunststücken unterhalten, nur es gibt keine Kinder. Gegen Vorlage der
Meldebestätigung bekomme ich von einem sehr netten und freundlichem Meisje
meine Startnummer ausgehändigt, sonst nichts. Keine Kleidertasche, kein
Schwamm, kein Pflaster, keine Prospekte. Findet hier morgen
überhaupt ein Marathon statt murmelt Gudrun so vor sich hin. Aber bei nur
667 Teilnehmern ist das Angebot halt nicht so üppig. Da das Parken für
Marathon-Teilnehmer auf dem Messeparkplatz kostenlos ist schlage ich vor,
von hier aus den Nachmittag zu einer Stadtbesichtigung zu nutzen.
Da sich nach ungefähr 4
Stunden Sightseeing der *kleine Hunger* angemeldet hat entschliessen wir
uns, den kürzesten Weg zurück zur Messehalle zu nehmen um uns an dem
Nudel-Büffett der Pasta-Party zu laben. Nach meinem 4. Gang zum Nudeltopf
hat sich Gudrun an die äußerste Tischkante gesetzt um zu dokumentieren,
dass sie nicht zu mir gehört.
Meine ungezügelte Lust beim Essen haben mich dann im Hotelzimmer
bewogen die Minibar vom Fernet und
Underberg zu befreien um dann tief und feste einzuschlafen.
Ostermontag / Marathontag
(09.04.07)
„Heute packe ich es.“ Mit
diesen Sätzen habe ich mich um 06:30 Uhr aus dem Bett geschwungen, rasch
unter die Dusche gestellt um mich danach beim Frühstück für den
bevorstehenden Marathon zu stärken.
09:30 Uhr, wir
verabschieden uns im Hotel und fahren zum Messeparkplatz. Von hier sind es
nur 2 Minuten zum Start. Ich entledige mich meines Trainingsanzuges und
werde plötzlich nervös. In panischer Hektik suche ich meine Laufsocken.
Ausser dem Reserverad liegt der gesamte Inhalt des Kofferraums meines
Autos auf dem Parkplatz. Gudrun entfernt sich abermals und ruft nur:
“peinlich, peinlich“. Wenig später steh` ich mit 2 unterschiedlichen
Laufsocken aber hochmotiviert am Start. Obwohl ich noch keinen Meter
gelaufen bin ist mein T-Shirt von Schweiss durchnässt. Mein dampfender
Körper wärmt alle Umstehenden obwohl die Aussentemperatur schon 20 °C
anzeigt. Als *Foreigner* habe ich das Previleg, aus der 1ten Box zu
starten. Hier habe ich die Kenianer förmlich gerochen.
Pünktlich um 10:30 wird
das Feld bei herrlichem Sonnenschein auf die Reise geschickt. Mein Ziel
war klar, endlich mal wieder ohne Wadenkrämpfe und unter 4 Std. zu laufen.
Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl gab es kein Gedränge beim Start.
Alles verläuft reibungslos und diszipliniert.
Die ersten 5 km führen uns
durch Utrecht und um das Messegelände herum zurück zum Start. Diese
Streckenführung wurde bewusst so gewählt um die Läufer nocheinmal mit viel
Applaus auf die lange Reise zu schicken. Ich versuche meinen Rhythmus zu
finden indem ich etwas mein Tempo zurücknehme, denn meine Uhr zeigt mir
eine Zeit von 25:45 min. Die Sonne scheint mittlerweile erbarmungslos auf
mein ausgedünntes Deckhaar. Hätt` ich nur auf Gudrun gehört und eine Kappe
mitgenommen, ist aber müssig jetzt darüber nachzudenken. Zu meiner Linken
liegt der *Knooppunt Oudenrijn*, eine viel befahrene Autostrasse.
Freundliche Polizisten helfen für eine gefahrlose Überquerung. Hinter den
klimatisierten Autoscheiben sieht man nur gelangweilte Gesichter die mich
ungläubig anschauen.
Jetzt sind es nur noch 32
km. Das Feld ist weit auseinander gezogen. Man hat so gut wie keine
Möglichkeit sich jemandem anzuschliessen, denn bei den wenigen Teilnehmern
läuft jeder sein eigenes Rennen.
Die Strecke verläuft jetzt
12 km entlang von Grachten und wunderschönen Häusern. Die Bewohner winken
freundlich von ihren Terrassen herüber und fordern mich zum Durchhalten
auf. Ich fühle mich immer noch toll, obwohl mein Kopf von der Hitze glüht.
Nur Zuschauer an den Strassen die sucht man hier vergeblich. In der
letzten Stunde waren es vielleicht ganze 100, aber die gaben ihr
Möglichstes.
Bei Kilometer 17,3 sehe
ich zum ersten Mal Gudrun wieder. Ein kleiner Plausch und die Übergabe
eines Isogetränks, mehr war nicht drin. Mit meiner Zeit von 01:35 Std. war
ich sehr zufrieden. Ich fühle mich immer noch gut und forciere ein wenig
das Tempo.
Hinter *De Meern*, bei
Kilometer 21,1 (01:56 Std.) kommen mir die ersten Kenianer entgegen. Der
Unterschied zu mir war, dass die schon 36 km hinter sich hatten. Jetzt
hätte ich gerne etwas Aufmunterung gebraucht, aber Zuschauer gab es ja
nicht.
Immer weiter geht es
entlang der Grachten Richtung Harmelen. Bei Kilometer 25 seh` ich
auf der gegenüberliegenden Seite den *04:00 Std.-Pacemaker* mit ca. 15
Läufern im Schlepp. Ich rechne mir aus, dass ich ca. 8 Minuten Vorsprung
vor dieser Gruppe habe und mit einer Endzeit von ca. 03:54 Std. rechnen
kann.
Die Strecke wird jetzt
etwas anspruchsvoller. Es geht über viele kleine Brücken und etwas
unwegsames Gelände und es bedarf größerer Vorsicht um nicht umzuknicken
und eine Verletzung zu riskieren. Ich nehme deshalb mein Tempo auf ca.
05:50 min zurück, vielleicht aber auch um den *Mann mit dem Hammer*
entgegenzuwirken.
Ein Wanderer klatscht. Ich
drehe mich kurz um. Keiner zu sehen. Er hat nur für mich geklatscht –
Danke.
Kilometer 31. Ich liege
mit 02:52 Std. noch immer gut im Soll. Die Sonne scheint jetzt noch
erbarmungsloser auf meinen Schädel. Zum Glück trage ich meine Trinkflasche
immer in der Hand und fülle sie an jeder Versorgungsstelle.
Aber plötzlich ist er da,
der John-Wayne-Schritt. Normalerweise sieht man das nur bei kleinen
Kindern die gerade das Laufen erlernen. Eine Gehpause würde mir jetzt
bestimmt gut tun. Widerwillig tue ich meiner inneren Stimme den Gefallen,
weiterzulaufen.
Kilometer 32. Hinter mir
drückt einer und will überholen. Mich trifft fast der Schlag. Der *04:00
Std. Pacemaker* hat mich eingefangen. Ich habe auf den letzten 7
Kilometern meinem Vorsprung eingebüsst. An seiner Seite zähle
ich nur noch 7 Läufer. Ich muss mich jetzt entscheiden , gehen oder
anschliessen? Was erzähle ich meinen *lt-run4funnern* wieder die 4 Std.
nicht geschafft zu haben? Tausend Dinge schiessen mir durch den Kopf.
Ungläubig und erstaunt schaut mich die Gruppe an als ich mich ihnen doch
anschliesse. Die glauben sicherlich ich wäre Freigänger aus einer
Seniorenresidenz. Jetzt werde ich bissig. Wir sind mittlerweile bei
Kilometer 35 (03:13 Std.). Der Pacemaker verweigert mir an der
Versorgungsstelle das Stehenbleiben und Trinken. „Du muust loopen, loopen,
loopen un net dreenken“, schrie er - um mir aber trotzdem meine
Trinkflasche zu füllen und zu überreichen. Ein toller Typ!
Mittlerweile sind auch die
Gedanken ans Gehen Vergangenheit. Die Gruppe erhöht etwas das Tempo.
Nichts tut mehr weh. Ja gut, der Rücken halt, das Laster älterer Leute.
Die Aussentemperatur möge jetzt so um die 25°C liegen und immer wieder die
Aufforderung: “Du muust loopen, loopen, loopen“! Wahnsinn, wie der
Pacemaker die Läufer immer wieder vom Stehenbleiben abhält und neu
motiviert.
Noch 3 Kilometer. Ich
werde zum Adler, schwebe im Endorphinrausch. Wir haben mittlerweile wieder
Utrecht erreicht und man hört schon die schrille Musik einer Rockband im
Zielbereich. Endlich wieder einige Zuschauer an der Strecke unter ihnen
auch Gudrun, die mich mit Blick auf ihre Uhr frenetisch anfeuert.
Kilometer 41 (03:51 Std.).
Jetzt bin ich sicher, dass ich es schaffe. Noch 800 Meter. Der Pacemaker
hat uns *freigegeben*. Ich biege durch eine scharfe Rechtskurve in die
Croeselaan Straat ein. Endlich, tosender Applaus der vielen hundert
Zuschauer am Rande der Strecke. Noch 400 Meter, ich werde übermütig und
überhole noch 2 Läufer. Ein Blick auf die Uhr und ich wusste nur ein
Beinbruch konnte mich jetzt noch stoppen.
Noch 100 Meter – ich sehe
das Ziel. Im digitalen Blitzlichtgewitter von Gudrun überlaufe ich die
Matte. Die Uhr bleibt bei 03:58:54 stehen. Ich habe es mal wieder
geschafft!
Wolle
Schlusswort: Marathon - ein ehrlicher Sport!
Weder eine abgemessene Strecke noch die Stoppuhr lügen. Der Sieger wird
nicht von Kampfrichtern ermittelt, denen nationale Zugehörigkeit oder
Kleidung und Frisur den objektiven Blick vernebeln. Nein, beim Marathon
entspricht das Ergebniss der Leistung. Input gleich Output sozusagen. Und
irgendwie ist es beruhigend, dass so etwas noch möglich ist in unserer
komplizierten Welt von heute.
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